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Wenn Frau* will, steht alles still

Wenn Frau* will, steht alles still

Ich sitze in meinem Home „Office“ und höre einen Podcast von der Uni. Plötzlich lässt die Konzentration nach. Ich schaue auf die Uhr: Schon 13 Uhr. Zeit fürs Mittagessen! Anstatt von der Mensa fein bekocht zu werden, übernehme ich diese Aufgabe nun meist selber. Was mache ich heute? Rührei, Teigwaren? Meine Kenntnisse halten sich eindeutig in Grenzen...

Während der Coronakrise wird mir schlagartig bewusst, in welch privilegierter Lage ich mich befinde: Einen Garten zu haben macht „Stay at Home“ erträglicher, einen Wald direkt neben dem Haus zum Spazieren auch. Eltern, die weiterhin ihren vollen Lohn ausbezahlt bekommen und ein sicheres Zuhause zu haben, sind für mich eine Selbstverständlichkeit. Doch wie ich weiss, geht es lange nicht allen so.


Tanja Blume ist Co-Präsidentin der JUSO Kanton Bern, studiert Rechtswissenschaften und wohnt in Burgdorf.

Sie war so freundlich und hat eines ihrer interessanten Plädoyers zur Veröffentlichung freigeben.

Ursprüngliches Datum der Veröffentlichung: 23.08.2020

 

Vielen Dank dafür!

 

 

 


Während ich mich in der Küche abmühe und über mein fehlendes Talent in diesem Bereich nerve, müssen andere Frauen* nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder kochen. Daneben sollten sie für ihre Eltern und Nachbar*innen, die in der Risikogruppe sind, einkaufen gehen. Die Kinder wollen ausserdem unterhalten werden und brauchen Hilfe im Home Schooling. Pytagoras, unregelmässige Französischverben, Kolonialismus – das habt ihr sicher auch noch alle präsent und könntet es aus dem Stehgreif jemandem beibringen, oder etwa nicht?

Dass Frauen* den grössten Teil der unbezahlten Care-Arbeit verrichten und somit unsere ganze Gesellschaft am Leben erhalten, war schon vor der Coronakrise der Fall. Oder, um es in Zahlen auszudrücken: Frauen* leisten rund zwei Drittel der unbezahlten Care-Arbeit in der Schweiz. Das sind insgesamt 8234.9 Mio. Stunden im Jahr [siehe PDF]. Während der Corona-Krise, in der Kitas und Schulen geschlossen wurden, wird sich dieses Problem wohl kaum verringert haben, eher im Gegenteil.

In diesem Grundlagenpapier des VPOD ist ersichtlich wie sich die Care-Arbeit in der Schweiz zwischen den Geschlechtern verteilt und weshalb die aktuelle Verteilung ein Problem darstellt. 

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Waren wir nicht gerade erst letztes Jahr auf der Strasse, um gegen Zustände wie in den 50er Jahren anzukämpfen? Um auf die Care-Arbeit aufmerksam zu machen, die Frauen* in der Schweiz tagtäglich zu verrichten, ohne etwas dafür zu bekommen, nicht einmal ein bisschen Respekt? War da nicht einmal ein Frauen*streik, am 14. Juni? Als eine halbe Million Menschen auf die Strasse gingen, um für Gleichstellung zu kämpfen? Wisst ihr noch?

Heute sind ein paar Nationalrätinnen mehr gewählt, es wurde eine Anti-Diskriminierungs-Strafnorm gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung angenommen, wir diskutieren über ein neues Sexualstrafrecht. Doch viel mehr ist nicht passiert. Das darf nicht so bleiben! Unsere Forderungen bleiben dieselben: Wir wollen Zeit, Lohn und Respekt! Vorher geben wir nicht auf.

Wir fordern eine bessere Rente für diejenigen Frauen*, die jahrelang zu ihren Kindern und / oder Eltern geschaut haben, und nun von der AHV nicht leben können. Wir fordern genügend Kita-Plätze, die sich alle Familien leisten können. Wir fordern Alters- und Pflegeheime, welche für alle erschwinglich sind und wo nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse der Bewohnenden im Zentrum stehen. Und natürlich: Anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen für diejenigen, die in diesen Institutionen arbeiten.

Und weil gute Kitas und eine anständige Rente nicht reichen, fordern wir eine Verkürzung der Arbeitszeit. So soll es endlich möglich werden, neben der Lohnarbeit noch unbezahlte Care-Arbeit zu verrichten – sich Zeit zu nehmen für Familie und Freund*innen. Aber auch Zeit zu haben, um politisch aktiv zu sein, Freiwilligenarbeit zu verrichten oder Hobbies auszuüben.

25 Stunden in der Woche arbeiten bei gleichbleibendem Lohn. Was tönt wie Utopie, ist eigentlich bloss der logische nächste Schritt: Wir sind immer produktiver, unsere Wirtschaft wächst immer schneller. Und gleichzeitig haben wir eine Klimakrise, welche genau unter diesem unendlichen Wachstum leidet. Wer profitiert, sind einzig die Kapitalist*innen: Sie heimsen immer mehr Profit ein – während vor allem Frauen* neben der Lohnarbeit noch unbezahlte Care-Arbeit verrichten müssen. Mit einer Arbeitszeitverkürzung helfen wir dem Klima, hauen dem Kapitalismus eins auf die Finger und helfen allen Menschen, die Lohnarbeit und unbezahlte Care-Arbeit nur mit Mühe unter einen Hut kriegen. Die Arbeitszeitverkürzung ist die feministische, ökologische und antikapitalistische Forderung, welche die Linke im 21. Jahrhundert stellen muss.

Inzwischen ist es dunkel geworden in meinem Home „Office“. Staubsaugen, Uni-Zusammenfassungen und Aktivismus in einem Tag unter denselben Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Doch ich bin mir meiner Privilegien bewusst – und solidarisiere mich mit allen Frauen*, welche stärker unter dem Patriarchat und dem Kapitalismus leiden als ich. Am 8. März, am 14. Juni und jeden Tag. Venceremos!

Weitere Informationen

Das Smartvote-Profil von Tanja Blume (Nationalratswahlen 2019):
https://www.smartvote.ch/de/group/2/election/19_ch_nr/db/candidates/44200006629

Weitere Informationen über die JUSO Kanton Bern:
https://be.juso.ch/

 

Weitere Informationen über den VPOD:

https://vpod.ch/

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